„Wenn es Raachermannel nabelt“ – Gedanken zum Lied
Das „Raachermannel“ ist ein weihnachtliches Lied in erzgebirgischer Mundart, das in seiner Art die besondere Atmosphäre der erzgebirgischen Weihnachtszeit einfängt. Vielen bekannt und beliebt sind ja die auf keinem Weihnachtsmarkt fehlenden Erzgebirgsstände mit ihren Schnitzereien und bunten Holzfiguren (die heute oftmals schon in China hergestellt werden). Für manche ist es ein bisschen Kitsch zur Adventszeit (1. Strophe). Aber was steckt eigentlich dahinter?
Wie der Name schon sagt, war (und ist) das Erzgebirge über Jahrhunderte vom Erzbergbau geprägt. Im Mittelalter gab es ein regelrechtes Berggeschrey, die Kunde reicher Erzvorkommen lockte viele Menschen in die Region und es entstanden dicht besiedelte Städte und Dörfer, deren Bewohner hauptsächlich vom Bergbau lebten. Die Gilde der Bergleute verkörpert seit dieser Zeit bis heute einen stolzen und anerkannten Stand. Mit dem zu Ende des 15. Jahrhunderts einsetzenden Import von Erzen aus dem neu entdeckten Amerikanischen Kontinent endete jedoch das Berggeschrey, die Menschen verließen die Gegenden und suchten sich neue Erwerbsquellen. Für die verbliebenen Bergleute verschlechterten sich die Arbeits- und Lebensbedingungen rapide und die Menschen, die nicht weg ziehen wollten, mussten neue Betätigungsfelder kreieren. Auch die Anfänge des Musikinstrumentenbaus im Erzebirge reichen bis in diese Zeit zurück.
Seither (und sicher noch sehr in der Zeit der Entstehung des Liedes) war das Erzgebirge eine Gegend mit ärmlichen Verhältnissen, wo Luxus, der für uns heute selbstverständlich scheint, weit entfernt war. Zur Sicherung des täglichen Auskommens musste nun die ganze Familie mithelfen. Die Männer arbeiteten im Schacht unter Tage während die Frauen und Kinder das Haushaltseinkommen mit dem Verkauf selbst hergestellter Waren aufbesserten. Gerade das Herstellen und liebevolle Bemalen von Spielzeug spielte dabei eine wichtige Rolle. Da wurde Holz gesägt, gedreht, geschnitzt und bemalt. In jeder Familie auf eigene Weise. Motive beziehen sich dabei immer wieder auf das bergmännische oder häusliche Leben (2. Strophe).
Ein weiterer Aspekt der erzgebirgischen Advents- und Weihnachtszeit, der „5. Jahreszeit“ im Erzgebirge, ist die für damalige Verhältnisse enorme Lichterfülle. Auch sie ist mit dem Leben der Bergmannsfamilien verbunden, mussten sie doch auch in der dunklen Jahreszeit werkeln, schnitzen, malen und klöppeln. Zudem zeigten die hellen Lichtenbögen in den Fenstern den Vätern und Brüdern den Weg nach Hause, das sie frühmorgens im Dunkeln verlassen hatten, bei kargem Licht zuweilen bis zu 12 Stunden am Tage unter Tage schuffteten bis sie sich im Dunkeln wieder auf den Heimweg machten.
Die Weihnachtszeit, die mit der Geburt Christi das Licht des Lebens verkündet, sollte auch für sie die lichte, helle Zeit im Jahr sein. Die Freuden des touristischen Reisens kannten die Menschen damals nicht. Um so wichtiger war für sie ein friedvolles und heiteres Zusammenkommen im Kreise der Familie und der Gemeinde, in dem das Gefühl der heimatlichen Verbundenheit verwurzelt ist. In der Mitte des Ortes dreht sich die hell beleuchtete Weihnachtspyramide. Und man traf sich – in manchen Gegenden noch heute – abends beim „Hutzenobnd“ in der Gaststube im Dorf, wo die Frauen klöppelten und die Jungen und Alten schnitzten. Oder eben zu Hause, wenn die Familie wieder zusammenkam mit ihren Familienmitgliedern, die sich in der Fremde verdingten (3. Strophe).
In früherer Zeit war es übrigens gar nicht selbstverständlich, zu Weihnachten ein „Pack´l“ (Geschenk) zu bekommen. Der Luxus des Außergewöhlichen orientierte sich vierlerorts viel mehr auf die wunderbaren Zutaten des Christstollens (Weihnachtsbrot) oder anderer Festtagsspeisen wie dem „S´Neunerlaa“ (Neuerlei, eine aus traditionell 9 Gängen bestehende Speisefolge) als Ersatz für individuelle Geschenke (4. Strophe).
In diesem Sinne könnte das Lied mit seinem Besingen einer genügsamen heimischen Gemütlichkeit auch in unserer heutigen Zeit in unser Leben ein wenig Licht bringen und die Corona-bedingten Einschränkungen ein wenig vergessen machen.
Berlin, November 2020
Carola Intemann